Die Zweirichtungs-Gelenktriebwagen

Von 1957 bis 1969 beschaffte die Bogestra 91 sechsachsige Straßenbahntriebwagen in Zweirichtungsbauweise von der DÜWAG. Dieser Typ wurde entwickelt da auf dem Bogestra-Netz mit zahlreichen Überlandstrecken kein Platz vorhanden war um Wendeschleifen anzulegen. Diese bedingte aber der kurz zuvor von der DÜWAG vorgestellte Gelenktriebwagen in Einrichtungsbauweise, der seinerzeit den Straßenbahnbetrieb deutscher Städte revolutionierte und rationalisierte. Während der Einrichter bei der Bogestra eine seltene Erscheinung war, prägte die Zweirichtungs-Konstruktion den Straßenbahnverkehr im Ruhrgebiet. Obwohl gemeinsam mit den Vestischen Straßenbahnen entwickelt und eingesetzt, wurde dieser Straßenbahnwagen später als "Typ Bochum" bezeichnet. Außer in Bochum-Gelsenkirchen und bei der Vestischen lief dieser Typ im Ruhrgebiet auch bei der Essener Verkehrs AG.


 
Grob lassen sich die Bogestra GT6 in drei Serien einteilen: Die von 1957 bis 1959 geieferten Tw 261 bis 298, die von 1961 bis 1962 gelieferten Tw 1 bis 32 und die von 1967 bis 1969 gelieferten Tw 33 bis 53. Zunächst also die Gemeinsamkeiten dieser Fahrzeuge. Länge über Blech 20100 mm bei einer von Breite 2200 mm. Zwei der drei Drehgestelle waren mit einem DÜWAG-Tandemantrieb motorisiert, während das Dritte als Jakobsdrehgestell ausgelegte die Drehverbindung darstellte und das beide Wagenteile verbindende Gelenkportal trug.
 
Aus dem Lieferjahr 1957 stammten die Tw 261 bis 282, von 1958 die Tw 283 bis 293. 1959 folgten die Tw 297 bis 298 sowie die Tw 272'' bis 274''. Die originalen Tw 272 bis 274 erhielten bereits 1958 Motoren eines anderen Typs und wurden dabei in Tw 294 bis 296 umgezeichnet. Danach stellte sich die Motorausrüstung wie folgt dar: Tw 261 bis 274 besaßen zwei Garbe-Lahmeyer Drehgestell-Motoren vom Typ BG 75 dmff mit je 94 kW, die Tw 275 bis 298 hatten solche vom Siemens-Typ GB 199/21 a mit 100 kW. Beide Motorvarianten wurden bis 1962 in neugelieferte Bahnen eingebaut. Die Tw 272 bis 274 in erster Besetzung hatten bei ihrer Lieferung und vor dem Umbau ebenfalls Siemens-Motoren eingebaut.
 
 
Äußerlich waren die Triebwagen bis zum Ende ihrer Zeit bei der Bogestra weitgehend im Ursprungszustand. Auffallend war der Verzicht auf die Kupplungsdosen. Mit der Abstellung der letzten Beiwagen 1970 konnte auf sie Verzichtet werden. Die umlaufenden Zierleisten unterhalb der Fenster sowie in Höhe des Fußbodens erwiesen sich als korrosionsfördernd und wurden abmontiert, bei einigen Wagen waren sie bis zum Schluß jedoch noch teilweise und überlackiert vorhanden. Die Frontscheinwerfer wurden in den 1960er Jahren durch einen im Durchmesser größeren Typ der Firma Brose ersetzt. Ebenfalls um Rostherde zu eliminieren wurden bei einigen Wagen die Katzenaugen an den Stoßfängern auf aufgeschweißten Sockeln montiert. Der im letzten Türflügel montierte Spiegel, mit dem der Schaffner den Fahrgastwechsel beobachten konnte, verschwand ebenso wie die oberhalb der seitlichen Fahrerfenster angebrachten Rückblickspiegel, die durch eine leichter zu verstellende Bauart ersetzt wurden.
 
 
Der Fahrgastraum war bis zu Fensterbrüstung mit braunen Holzplatten verkleidet, ebenso die der Gelenkverbindung zugeneigten Wagenabschlüsse. Die Sitze bestanden aus gepressten und verleimten Holzfurnieren. Im Zusammenhang mit der weiß lackierten Dachverkleidung aus Sperholzplatten ergab sich im Innenraum ein harmonisches Bild, dass von den zunächst noch an den Innenseiten braun lackierten Türflügeln unterstützt wurde. In jedem Wagenteil gab es einen erhöht eingebauten Schaffnersitz, der je nach Fahrtrichtung auch den Fahrgästen zur Verfügung stand. Die Schaffnerplätze besaßen zur Abfertigung des Wagens je ein eigenes Bedienpult, welches bei Nichtbenutzung durch eine Klappe verschlossen werden konnte. Mit diesem Bedienpult wurden die Türen im jeweiligen Wagenteil und auf beiden Wagenseiten gesteuert und die Ausrufanlage betätigt. Der Kommunikation zwischen Fahrer und Schaffner dienten per Zugschalter betätigte Schnarren. Am hinteren Doppeleinstieg (Fahrgastfluß!) ertönte vor dem Schließen der Türen ebenfalls eine Schnarre als Warnung an die Fahrgäste, diesen Wagen nicht mehr zu betreten. Die Türüberwachung geschah durch Trittkontakte in den Türkästen der Türen 2 und 3. Solange diese durch aussteigende Fahrgäste niedergedrückt wurden, leuchtete in der Dachvoute gegenüber dem Schaffnerplatz eine rote Leuchte. Schließlich konnte der Schaffner in Notfällen mit einem Druckknopf die Schienenbremse auslösen. Betätigte der Fahrgast einen der in der Dachkante befindlichen Haltewunsch-Drucktaster, erleuchtete über beiden Fahrerständen ein "Wagen Hält!"-Tableau, Fahrer und Schaffner wurde dieser Wunsch durch Leuchten in den jeweiligen Bedienpulten angezeigt.
 
Die Trittkontakte zur Türüberwachung bereiteten u.a. aufgrund von Vereisung im Winter Probleme, so das sie bei allen Fahrzeugen gegen Klappschranken an den Türen 2 bis 4 ersetzt wurden. Ab 1965 wurden alle Triebwagen für den Einmann-Betrieb umgebaut. Die Türsteuerung wurde dergestalt umgebaut, dass die Türen nun von den Fahrgästen sowohl von außen wie von innen per Druckknopf selbst geöffnet werden konnten. Die Freigabe der Türöffnung erfolgte durch den Fahrer. Zum Fahrscheinverkauf wurde dort Platz für einen Geldwechsler geschaffen und auf der Apparateverkleidung ein Brett zur Ablage der Fahrscheinmappe angebracht. Da die Wagen zeitweise jedoch auch noch im Schaffner-Betrieb liefen, blieben die übrigen Einrichtungen an den Schaffnerplätzen zunächst noch in Betrieb. Ab dem 31. März 1970 verkehrten die Busse und Bahnen ausschließlich im Einmann-Betrieb, Kollege Klüssendorf hatte endgültig gewonnen! Die gepolsterten Sitzmöbel für den Schaffner wollte man jedoch den Fahrgästen nicht mehr zumuten, sie wurden ebenfalls durch Holzsitze ersetzt.
 
 
Zwei bereits verloren geglaubte Triebwagen hatten Ende der 1980er Jahre ihr Comeback auf den Bogestra-Gleisen: Tw 290 und 295. Sie kamen in den Genuß eines Umbaus, der bereits den Tw 33 bis 53 zur Tunnelertüchtigung wiederfahren ist: Der Einbau von Fahrerkabinen bei gleichzeitiger Stillsetzung des letzten Türflügels, ein neues Bedienpult sowie eine Neulackierung. Tw 290 war so von den tunnelgängigen Triebwagen nicht zu unterscheiden, allerdings fehlte ihm für einen Tunneleinsatz eine wesentliche Einrichtung: Die Zugsicherungstechnik wurde nicht eingebaut. So blieb sein Einsatz weiterhin auf die Bochumer Oberflächenlinien 305, 306 und 310 beschränkt. Beide Triebwagen bekamen bei diesem Umbau ihre Verbindungskabel für ein Anhängsel zurück. Dies geschah, um für die Arbeitsloren nach Ausmusterung der Atw 681 bis 685 wieder ein Zugfahrzeug zu haben.
 
Was Tw 290 bei seinem Umbau nicht hatte, hatte Tw 295, was ihm jedoch fehlte war der Stadtbahn-Lack in rot/weiß! Unauffälig mit einer Ganzreklame versehen, besaß Tw 295 die für den Tunneleinsatz notwendige Zugsicherungseinrichtung. In Bochum stationiert, konnte er somit auf allen dortigen Linien zum Einsatz kommen und hätte es bei der Bogestra noch die passenden Zielschilder gegeben, so wäre er bestimmt auch im Linieneinsatz nach Hattingen oder Bochum-Dahlhausen gefahren... Nach seinem Ausscheiden aus dem Linienverkehr wurde er für interne Zwecke umgerüstet und zog fortan die Arbeitsloren oder diente als Rangierwagen in Gerthe. Meistens stand er jedoch nur rum, doch dies tat er mit Stil. Als Atw 695 bezeichnet bekam er eine Lackierung im "StadtLinie"-Design, wie es auch die Bogestra-Omnibusse dieser Zeit hatten.

 
Die 1961 gelieferte Serie Tw 1 bis 16 wurde je zur Hälfte mit Garbe-Lahmeyer-Motoren vom Typ BG 75 dmff (Tw 1 - 8) und SSW-Motoren vom Typ GB 1992/21a ausgeliefert. Die ersten acht Triebwagen erhielten in den 1980er Jahren ebenfalls SSW-Motoren, die aus bereits abgestellten älteren Triebwagen gewonnen werden konnten. Bei der 1962er Lieferung der Tw 17 bis 32 erhielten die Tw 17 bis 27 Garbe-Lahmeyer-Motoren, die übrigen den bereits bekannten SSW-Typ. Äußerlich entsprachen sie weitgehed den Serien aus den 1950er Jahren, jedoch wurde auf sämtliche Zierleisten verzichtet. An die Stelle der Zierleisten in Höhe des Wagenbodens trat ein wie die Stoßstange dunkelgrün lackierter Zierstreifen. Diese Lackierungsvariante sollte bis in die 1990er Jahre das Markenzeichen der Bogestra GT6-ZR bleiben.
 
 
Nach fünfjähriger Beschaffungspause kamen ab 1967 drei Nachlieferungen in den Bogestra-Bestand. Zunächst verstärkten die Tw 33 bis 36 den Wagenpark. Als Neuerung kamen diesmal leistungsstärkere SSW-Motoren vom Typ MB 202/21 bzw 1KB 2021-0 MA02 zum Einbau, mit ihren 140 kW wurden diese Tw die leistungsstärksten im Bestand. 1968 folgten die baugleichen Tw 37 bis 47. Die letzte Lieferung aus dem Jahre 1969 (Tw 48 bis 53) unterschied sich durch ein wesentliches Merkmal: An die Stelle des Schaffnerplatzes traten zwei zusätzliche Fahrgastsitze. Für die mit Schaffnerplätzen ausgestatteten Triebwagen aus den 1960er Jahren gilt die Umrüstung entsprechend den Wagen 261 bis 298 und 1 bis 32. Anhand eines kleinen äußerlichen Details ließen sich die drei nachgelieferten Serien von den bisherigen unterscheiden. Der Scheibenwischer wurde nun nicht mehr durch ein Loch in der Frontscheibe direkt angetrieben sondern besaß einen innen versenkt eingebauten Scheibenwischermotor und einen Antrieb über ein Gestänge.
 
Die 1984 eröffnete Tunnelstrecke in Gelsenkirchen erforderte einen Umbau. Hierfür wurden die leistungsstarken Tw 33 bis 53 ausgewählt. Da im Tunneleinsatz besondere Zugsicherungseinrichtungen Vorschrift sind, wurden eine Totmanneinrichtung und eine in Zusammenhang mit der Signalsteuerung wirksame Fahrsperre eingebaut. Zur einfacheren Stellung der Weichen vom Fahrerplatz aus wurden entsprechende Taster am Bedienpult angebracht. Der Fahrerplatz bekam eine bei Nichtbenutzung verschließbare Trennwand zum Fahrgastraum. Um Platz hierfür zu schaffen, mußte der in Fahrtrichtung erste Türflügel auf der linken Seite stillgesetzt werden. Für den Fahrgast markant war die Lackierung dieser Triebwagen in den damals aktuellen "Stadtbahnfarben" rot/weiß. Mit der Eröffnung der ersten "CityExpress"-Linie im Jahre 1988, der Buslinie CE 31, und dem dafür entwickelten Design in weiß mit roten und orangefarbenen Streifen wurde diese Produktfarbe auch für die Schienenfahrzeuge der Bogestra adaptiert. Nachdem im September 1989 zunächst der M-Tw 339 diese Lackierung erhielten, folgten zu Beginn der 1990er Jahre auch die ersten älteren Straßenbahnen. Die Tw 33, 35, 37, 39 - 41, 44, 49 und 53 wurden so umgestaltet. Obwohl bei vielen Unternehmen design-modernisierte Farbgestaltungen krampfhaft wirkten weil sie auf die Gesamterscheinung des entsprechenden Fahrzeugs keine Rücksicht nahm, nicht so bei der Bogestra: Die 35 Jahre alte Konstruktion trug die neue Lackierung mit Würde! Da die Außerdienststellung der GT6-ZR bei der Bogestra durch die neugelieferten Niederflurbahnen schon in greifbarer Nähe war, blieb nach der Umlackierung nur noch eine geringe Restnutzungszeit.
 
 
Der Innenraum der Tw 1 bis 53 war wieder ein Spiegel seiner Zeit. Alles holzfarbige wurde verbannt, die Holzsitze wichen grün eingefärbten Kunststoffsitzen, die Seiten- und Dachverkleidung bestand nun aus Pressplatten mit weißer Beschichtung, die eine graue Maserung hatten. An den Doppeltüren gab es nun in der Mitte eine zusätzliche bis an den Türantriebskasten reichende Haltestange, an die beim Umbau auf Einmannbetrieb der Türöffner montiert wurde. Die Aufteilung der Sitze entsprach den bisherigen Serien.
 
Der zunächst zerklüftet wirkende Inneraum bekommt jedoch einen Sinn, wenn man den Zweirichtungsbetrieb mit Fahrgastfluß von hinten nach vorne berücksichtigt. Ein Durchgang durch den Wagen: Einstieg an der Tür auf der hinteren Plattform. Ein klappbare Einzelsitz auf der Plattform vergrößert das Auffangvermögen des Stauraumes. Über eine 200 mm hohe Stufe wird der Abfertigungsraum erreicht. Rechts vor dem Schaffnerplatz sind drei Längssitze angeordnet. Der erste hiervon ist klappbar, um den darunter befindlichen Sandbehälter zu befüllen, die anschließende Zweierbank ist klappbar, um einen Stellplatz für einen Kinderwagen zu gewinnen. Auf der linken Seite ist ein klappbarer Einzelsitz in Fahrtrichtung, auch hierunter befindet sich ein Sandbehälter. Es folgt eine klappbare Dreierbank in Längsanodnung. Eine in diesem Bereich befindliche horizontale Stange mit fakultativer Absperrung zum Schaffnergeschränk hin dient dem kontrollierten Durchgang am Schaffnerplatz. Zu diesem Zweck ist die letzgenannte Längsbank hochgeklappt. Nun beginnt der eigentliche Fahrgastbereich. Links sind zwei Einzelsitze in Abteilform eingebaut, hinter dem Schaffnerplatz sind rechts drei Zweierbänke in Form von eineinhalb Abteilen angeordnet. Nach den beidseitigen Türen folgen auf der linken Wagenseite noch zwei weitere Einzelsitze in Abteilform, rechts eine Dreierbank an der Längsseite. So wird ein der Raum zum Gelenk hin möglichst breit gehalten. Auf der Drehfläche des Gelenkes sind keine Sitzplätze vorgesehen. Der nun anschließende zweite Wagenteil besitzt die gleiche Sitzanordnung, sie erscheint um die Längsachse gespiegelt. Der vordere Schaffnerplatz ist nicht besetzt und kann von Fahrgästen benutzt werden. Hier ist die Absperrstange zwischen diesem und der horizontalen Stange weggeklappt, die Längsbank gegenüber steht ebenfalls den Fahrgästen zur Verfügung.
 
 
Mit den Bedienpulten an den beiden Fahrerständen steuerte der Fahrer außer den Lichtfunktionen die Türen im jeweiligen Fahrzeugteil. Die vier Pedale im Fußraum steuerten das Fernlicht, die Glocke, die (später ausgebaute) Solenoidbremse und den Sandstreuer. Der links vom Fahrersitz befindliche Hebel steuerte über den Umweg einer elektromagnetischen Schützensteuerung den auf der Plattform stehenden Nockenfahrschalter, rechts vom Sitz war ein Ratschenhebel zum Festziehen der Handbremse eingebaut. Mit dem Einbau einer per Kippschalter zu bedienenden Federspeicherbremse wurde er entfernt. Zur Bedienung der Schienen-(Not-)Bremse wurde rechts vom Bedienpult ein abgewinkelter Knauf eingesteckt. Beim Wechseln des Fahrerstandes hatte der Fahrer die nur einmal pro Triebwagen vorhandenen Hebel für die Fahrtrichtungswalze, den Schienenbremsknauf sowie die mechanische Fahrzeituhr mitzunehmen und an den entspechenden Verbindungsmöglichkeiten des anderen Fahrerstandes wieder zu montieren.